Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Manche Unternehmen bemühen sich mit Überzeugung, andere tun es, um dem Zeitgeist gerecht zu werden, alle anderen wiederum werden früher oder später dazu gezwungen werden. Als Experte für die Nachhaltigkeitstransformation gibt das Terra Institute einen Einblick, welche Nachhaltigkeitstreiber auf Unternehmen wirken, und wie diese methodisch vorgehen können.
In den letzten 50 Jahren hat unser Leben und Wirtschaften die Erde stark verändert: Die Bevölkerungsanzahl hat sich verdoppelt, die wirtschaftliche Gesamtleistung versechsfacht, und der Wasserverbrauch nahezu verdoppelt. So sind bereits heute rund 153 Millionen Menschen vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht, die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Gebieten mit Wasserknappheit und wir verlieren derzeit auf unserem Planeten pro Menschen und Jahr etwa drei bis vier Tonnen fruchtbaren Bodens. Daraus lässt sich ableiten, dass Nachhaltigkeitsfragen in ein hochkomplexes Geflecht sozioökonomischer Systeme eingebettet sind. Sie umfassen Lebensstile, Infrastruktur, Technologie, Klimaextreme, Kommunikation und Menschen, was sowohl ihre Struktur als auch ihr Verhalten schwer veränderbar macht. Soll der Wandel gelingen bedarf es daher einer vielschichtigen Nachhaltigkeitsstrategie.
Die größten Nachhaltigkeitstreiber im Unternehmen
Abbildung 1: Nachhaltigkeitstreiber im Unternehmen
Moderne Unternehmensführung schließt Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie mit ein. Weitere große Treiber kommen aus der Regulatorik. Als Europäische Union haben wir uns u.a. das Ziel gesteckt bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Der Gesetzgeber formuliert mit der mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ab 2024 für alle Unternehmen ab 250 Beschäftigten und 20 Mio. Euro Bilanzsumme und/oder 40 Mio. Euro Nettoumsatz durch einer Berichtspflicht ihren Enviroment-Social-Governance (ESG) Impact und ihr Ambitionsniveau inkl. Transformationspfad transparent zu machen. Die Schlüsselthemen sind unter anderem: Klima, Klimaanpassung, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, Schadstoffe, Wasser und Menschenrechte. Neben den eigenen Auswirkungen auf die Umwelt, soll auch analysiert werden, mit welchen Auswirkungen durch die Umweltveränderungen auf das eigene Geschäftsmodell zu rechnen sei.
Das Deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) seit 01.01.2023 in Kraft für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, verlängert den Fokus weit in die Lieferkette der Unternehmen hinein. Das Gesetz beinhaltet beispielsweise das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit, die Pflicht zur Achtung von Vereinigungsfreiheit. Diesen Sorgfaltspflichten für die gesamte globale Lieferkette muss ein Unternehmen hierzulande nachkommen, und entsprechende belastbare Risikominimierungen und Präventionsmaßnahmen treffen. Weiter geht das Europäische Lieferkettengesetz (CSDDD). Es inkludiert neben den sozialen Themen auch Umweltbelange, vergrößert den Bereich der betroffenen Unternehmen, ermöglicht die zivilrechtliche Klage von Betroffenen und nimmt größere Unternehmen in die Pflicht, ihre Geschäftsaktivitäten auf das 1,5°C Ziel anzupassen.
Druck kommt somit auf die Unternehmen gleich aus mehreren Seiten. Einerseits aus der Regulatorik. Andrerseits ist bereits jetzt spürbar, dass Lieferanten in größeren Wertschöpfungsketten aktiv mit eingebunden werden. Dann ist auf den Märkten durch die Konsumenten und im Bewerbermarkt die Forderung zur Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit messbar. Und ganz ähnliche Logiken werden gerade auch bei den Finanzinstitutionen implementiert, die bspw. von den Aufsichtsbehörden in die Pflicht genommen werden, Nachhaltigkeitsrisiken bei der Kreditvergabe mit zu berücksichtigen.
In Sieben Schritten zur Nachhaltigkeitsstrategie
Der bewährte Methodenkoffer zur Strategieentwicklung und Change-Management hält schon heute viele Ansätze, die auch bei einer 360°-Betrachtung einer Nachhaltigkeitsstrategie bereit. Die bewährten sieben Schritte sind:
Schritt 1: Das Ganze und seine Teile – Erarbeitung der Grundlogik. Zu Beginn werden das Nachhaltigkeitsteam und die Projektleitung definiert, sowie die internen und externen Stakeholder, die in den verschiedenen Projektphasen mit einbezogen werden sollen. Nach einer ganzheitlichen Betrachtung des Organisationssystems und seiner Funktionsweise – in Form von Prozessen, Stoffströmen, Wissen, Beziehungen und Abhängigkeiten – werden die wichtigsten Auswirkungen identifiziert. Dies kann in Anlehnung an Standards wie die GRI, unter Berücksichtigung der 17 Sustainable Development Goals oder in Anlehnung an den UN Global Compact erfolgen. Ziel dieser Phase ist sowohl die Definition einer individuellen Vision für eine nachhaltige Entwicklung als auch ein gemeinsames Verständnis über die Arbeitsergebnisse der einzelnen Phasen.
Schritt 2: Vernetzung und Vorbereitung der Stakeholder-Dialoge. Nun geht es darum, ein Steuerungssystem zu entwickeln, in dem die Rolle und der Beitrag jedes Einzelnen klar definiert sind, sowie ein Überwachungssystem zur Identifizierung von bewährten Verfahren und verbesserungswürdigen Bereichen. Am Ende sind für jedes Segment die Auswirkungen und die Stakeholder definiert.
Schritt 3: Das System und seine Umwelt – die Stakeholderdialoge. Im Austausch mit Anspruchsgruppen und Fachexperten lassen sich die definierten Auswirkungen qualifizieren und priorisieren. Auch startet so ein Prozess der Werteentwicklung. Zwar lassen sich Grundüberzeugungen nur schwer verändern, aber es kann eine Konvergenz erreicht werden, indem eine Vielzahl von Stakeholdern angesprochen wird und ein kontinuierlicher Dialog initiiert wird.
Schritt 4: Komplexität handhaben – das Wesentlichkeitsprofil. Um in der Fülle der Auswirkungen nicht den Fokus zu verlieren, werden nun die wesentlichen Inhalte aus Phase 2 und Phase 3 zusammengeführt. Es entsteht das Wesentlichkeitsprofil – der Kern einer jeden Nachhaltigkeitsstrategie.
Schritt 5: Ambitionsniveau & KPIs. In einer Bestandsanalyse werden zu den wesentlichen Themen die wichtigsten Inhalte erhoben, Zielableitungen getroffen und Schlüsselkennzahlen (KPIs) definiert. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es ratsam, sich an einem Standard wie beispielsweise dem ESRS und gesetzlichen Vorgaben wie den CSRD zu orientieren. Am Ende steht ein KPI-System, und ein erarbeitetes Datenerfassungskonzept.
Schritt 6: Steuerung – Spiegelung der Ergebnisse. In Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung und gegebenenfalls Stakeholdern erfolgt ein Abgleich von Zielbild und Ambitionsniveau in den kurz-, mittel- und langfristigen internen Projekten der definierten Handlungsfelder.
Schritt 7: Entwicklung – das Ende ist der Anfang. In der letzten Phase folgt die Messung der Nachhaltigkeitsleistung in Bezug auf die wichtigsten Nachhaltigkeitsauswirkungen des Unternehmens in Übereinstimmung mit dem gewählten Berichtsstandard. Schlüsselbotschaften zur Nachhaltigkeit werden nach außen kommuniziert.
Je früher und gezielter breite Teile einer Organisation in wichtige Belange der Strategiearbeit eingebunden werden, desto einfacher ist es für die Organisation, sich dem galoppierenden Wandel anzupassen und darauf nicht nur schadensbegrenzend zu reagieren, sondern auch aktiv mit Innovationen an der Lösung der globalen Nachhaltigkeitsprobleme gewinnbringend zu partizipieren. Felix Pliester